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Ein Arbeitstheater (AT)
"Arbeiten? Ich will mich doch nicht verschlechtern."
von Niklas Knüpling & Nicolas Cymara
Die Ausschreibung fragt nach dem Wandel des Arbeitsbegriffs im digitalen Zeitalter, nach Paul Lafargues "Recht auf Faulheit" und der Instrumentalisierung von Existenzangst. Der erste Impuls: Clickwork als radikalste Form digitaler Prekarisierung – atomisierte Mikroarbeit, global ausgelagert, systematisch unsichtbar gemacht.
Das Problem: Theater, das "über" Clickwork berichtet, ist redundant. Dokumentationen machen das besser. Theater, das Mitleid mit Clickworker*innen erzeugen will, individualisiert strukturelle Gewalt. Theater, das das Publikum zur Mitschuld erklärt, reproduziert neoliberale Responsibilisierung.
Die Frage wurde also: Was kann Theater, das nur Theater kann? Antwort: Gleichzeitigkeit schaffen. Reale Entscheidungen mit realen Konsequenzen ermöglichen. Die Distanz zwischen "denen da" und "uns hier" nicht metaphorisch, sondern materiell aufheben.
Fünf Personen arbeiten an Laptops. Sie sind echte Clickworker*innen aus Wien/Österreich, die ihre reguläre Arbeit auf Plattformen wie Amazon Mechanical Turk, Clickworker.com, Appen etc. ausführen. Sie clicken, kategorisieren Bilder, transkribieren Audio, moderieren Content, trainieren KI-Modelle. Das sind keine Schauspieler*innen, die Clickwork spielen. Das ist echte Arbeit, die gerade passiert.
Sichtbarkeit: Eine Projektion zeigt, was sie tun – nicht voyeuristisch im Detail, sondern als Interface: Tasks, Timer, Bewertungen. Das Publikum sieht die Plattformlogik in Aktion.
Dauer der Eingangsphase: 15 Minuten. Das Publikum sitzt, schaut zu. Es passiert: Arbeit. Monoton, konzentriert, unspektakulär. Das Unbehagen wächst – ist das schon das Stück? Warum passiert nichts?
Eine Person (Moderation, könnte einer der Clickworker*innen sein oder externe Regie-Stimme) tritt hervor und stellt die zentrale Frage: "Diese fünf Personen arbeiten gerade. Sie verdienen zwischen 1,50 und 2 € pro Stunde. Wenn sie hier sind, verlieren sie Einkommen, obwohl wir sie für diese Vorstellung bezahlen. Wer aus dem Publikum möchte eine von ihnen für 45 Minuten ablösen, damit sie Pause haben kann?"
Keine moralische Anklage. Nur eine Frage. Eine Möglichkeit. Was dann passiert, ist offen:
Mehrere melden sich. Es gibt mehr Freiwillige als Plätze. Wer darf? Entscheiden die Clickworker*innen? Das Publikum? Zufall?
Zu wenige melden sich. Nur 2 von 5 Plätzen werden besetzt. Wer von den Clickworker*innen bekommt Pause? Wie wird das entschieden?
Niemand meldet sich. Stille. Unbehagen. Die Clickworker*innen arbeiten weiter. Das Publikum ist Zeugin der Verweigerung – auch der eigenen.
Die Freiwilligen (sofern vorhanden) kommen auf die Bühne. Sie bekommen Devices, werden eingeloggt, bekommen eine 2-Minuten-Instruktion. Dann: Arbeit.
Die freigestellten Clickworker*innen bleiben auf der Bühne (oder gehen in eine sichtbare Pause-Zone). Das ist der Kern ihrer Co-Autorenschaft. Sie haben ein in den Proben entwickeltes Repertoire an dramaturgischen Modulen, aus denen sie frei wählen können:
Wie diese Module eingesetzt, kombiniert oder auch weggelassen werden, ist die Entscheidung der Performer*innen an jedem Abend neu. Das Publikum schaut zu. 45 Minuten. Das ist lang. Das wird langweilig. Das wird unangenehm. Das ist der Punkt.
Wichtig: Die Arbeit ist real. Die Clickworker*innen/Freiwilligen verdienen tatsächlich Geld auf den Plattformen (minimal, aber echt). Die Tasks sind echt. Die Zeit ist echt.
Die Zeit ist um. Auszahlung: Die Freiwilligen bekommen den realen Lohn ausgezahlt. Bar. Auf die Hand. 1,35 € (oder was auch immer in 45 Minuten erwirtschaftet wurde). Nicht symbolisch – das Geld ist echt.
Kein Applaus, keine Moral, keine Auflösung. Nur: Eine Projektion (oder mündliche Ansage): "Arbeitszeit: 45 Minuten. Verdienst: 1,35 €. Danke für Ihre Mitarbeit." Stilles Ende.
Das Stück bildet nicht ab, es ist. Die Arbeit ist real, die Zeit ist real, das Geld ist real, keine Metapher.
Die Clickworker*innen sind nicht "Ausstellungsstücke" oder "Opfer", denen wir eine Stimme geben. Sie sind Expert*innen ihrer Arbeit. Ihre Co-Autorenschaft liegt in der Entscheidung, wie sie die 45-minütige Arbeitspause gestalten (siehe II.C). Sie sprechen direkt (wenn sie wollen), analytisch und vorbereitet – nicht als Lebensbeichte, sondern als Analyse.
Kein erlösendes Ende. Keine Lösung. Theater kann diese Strukturen nicht ändern. Das Stück lügt nicht über seine eigene Macht.
Alles, was passiert, muss materiell nachvollziehbar sein: Die Arbeit (sichtbar auf Projektion), die Zeit (läuft in Echtzeit), das Geld (wird bar ausgezahlt), die Pause (ist echte Erholung oder aktive Analyse).
Das Stück ist jedes Mal anders. Es hängt davon ab, wer sich meldet, wie viele, wie sie arbeiten und welche dramaturgischen Module die Clickworker*innen wählen. Das ist Live-Kunst, nicht reproduzierbares Theater.
Der politische Grundsatz lautet: Wir zahlen fair, weil wir es können – im Gegensatz zu den Plattformen. Die Clickworker*innen erhalten ein reguläres Theaterhonorar sowohl für die Probenphase als auch für die Vorstellungen, das sich an fairen Standards orientiert und unabhängig vom erwirtschafteten Click-Lohn ist. Das Produktionsbudget muss dies realistisch abbilden.
Die Proben dienen nicht dem "Einüben" von Text, sondern der Entwicklung des gemeinsamen Repertoires.
Minimal: 5 Tische, 5 Stühle, 5 Laptops, stabile Internetverbindung, 1 Projektion. Neutrales, arbeitsmäßiges Licht. Keine Dekoration. Nur: Arbeitsplätze.
Die EU-Chatkontrolle-Verordnung ist umstritten. Der KI-Boom basiert auf versteckter menschlicher Arbeit. Berichte über PTSD bei Content-Moderator*innen häufen sich. Plattformarbeit wächst. Das Thema ist nicht abstrakt. Es ist jetzt. Jede*r im Publikum nutzt Dienste, die auf Clickwork basieren.
Es schafft eine Situation, in der:
Nach einer Zusage wären die nächsten Schritte:
💰 ECHTE ARBEIT • ECHTE FRAGEN • ECHTES THEATER 💰