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DRÜCKERKOLONNE

Ein Arbeitstheater (AT)

Internes Konzeptdokument
Bewerbung für den Nachwuchswettbewerb 2026
im Theater Drachengasse

"Arbeiten? Ich will mich doch nicht verschlechtern."

von Niklas Knüpling & Nicolas Cymara

🎪 INHALTSVERZEICHNIS 🎪

I. AUSGANGSPUNKT II. DAS SETUP (Konkrete Form) A. Die Grundsituation auf der Bühne B. Die Intervention (Minute 15) C. Die Arbeitsphase (Minute 15-60) D. Das Ende (Minute 60) III. DRAMATURGISCHE PRINZIPIEN IV. THEORETISCHER RAHMEN (Kurz) V. PRAKTISCHE UMSETZUNG A. Team B. Bezahlung C. Probenphase D. Bühne VI. RISIKEN UND GEGENMASSNAHMEN VII. OFFENE FRAGEN VIII. WARUM DIESES STÜCK JETZT IX. WAS DAS STÜCK NICHT TUT X. WAS DAS STÜCK TUT XI. KONTAKT & NÄCHSTE SCHRITTE
I.

Ausgangspunkt

Die Ausschreibung fragt nach dem Wandel des Arbeitsbegriffs im digitalen Zeitalter, nach Paul Lafargues "Recht auf Faulheit" und der Instrumentalisierung von Existenzangst. Der erste Impuls: Clickwork als radikalste Form digitaler Prekarisierung – atomisierte Mikroarbeit, global ausgelagert, systematisch unsichtbar gemacht.

Das Problem: Theater, das "über" Clickwork berichtet, ist redundant. Dokumentationen machen das besser. Theater, das Mitleid mit Clickworker*innen erzeugen will, individualisiert strukturelle Gewalt. Theater, das das Publikum zur Mitschuld erklärt, reproduziert neoliberale Responsibilisierung.

Die Frage wurde also: Was kann Theater, das nur Theater kann? Antwort: Gleichzeitigkeit schaffen. Reale Entscheidungen mit realen Konsequenzen ermöglichen. Die Distanz zwischen "denen da" und "uns hier" nicht metaphorisch, sondern materiell aufheben.

II.

DAS SETUP (Konkrete Form)

A. Die Grundsituation auf der Bühne

Fünf Personen arbeiten an Laptops. Sie sind echte Clickworker*innen aus Wien/Österreich, die ihre reguläre Arbeit auf Plattformen wie Amazon Mechanical Turk, Clickworker.com, Appen etc. ausführen. Sie clicken, kategorisieren Bilder, transkribieren Audio, moderieren Content, trainieren KI-Modelle. Das sind keine Schauspieler*innen, die Clickwork spielen. Das ist echte Arbeit, die gerade passiert.

Sichtbarkeit: Eine Projektion zeigt, was sie tun – nicht voyeuristisch im Detail, sondern als Interface: Tasks, Timer, Bewertungen. Das Publikum sieht die Plattformlogik in Aktion.

Dauer der Eingangsphase: 15 Minuten. Das Publikum sitzt, schaut zu. Es passiert: Arbeit. Monoton, konzentriert, unspektakulär. Das Unbehagen wächst – ist das schon das Stück? Warum passiert nichts?

B. Die Intervention (Minute 15)

Eine Person (Moderation, könnte einer der Clickworker*innen sein oder externe Regie-Stimme) tritt hervor und stellt die zentrale Frage: "Diese fünf Personen arbeiten gerade. Sie verdienen zwischen 1,50 und 2 € pro Stunde. Wenn sie hier sind, verlieren sie Einkommen, obwohl wir sie für diese Vorstellung bezahlen. Wer aus dem Publikum möchte eine von ihnen für 45 Minuten ablösen, damit sie Pause haben kann?"

Keine moralische Anklage. Nur eine Frage. Eine Möglichkeit. Was dann passiert, ist offen:

🎯 Szenario A:

Mehrere melden sich. Es gibt mehr Freiwillige als Plätze. Wer darf? Entscheiden die Clickworker*innen? Das Publikum? Zufall?

⚡ Szenario B:

Zu wenige melden sich. Nur 2 von 5 Plätzen werden besetzt. Wer von den Clickworker*innen bekommt Pause? Wie wird das entschieden?

💀 Szenario C:

Niemand meldet sich. Stille. Unbehagen. Die Clickworker*innen arbeiten weiter. Das Publikum ist Zeugin der Verweigerung – auch der eigenen.

C. Die Arbeitsphase (Minute 15-60)

Die Freiwilligen (sofern vorhanden) kommen auf die Bühne. Sie bekommen Devices, werden eingeloggt, bekommen eine 2-Minuten-Instruktion. Dann: Arbeit.

Die freigestellten Clickworker*innen bleiben auf der Bühne (oder gehen in eine sichtbare Pause-Zone). Das ist der Kern ihrer Co-Autorenschaft. Sie haben ein in den Proben entwickeltes Repertoire an dramaturgischen Modulen, aus denen sie frei wählen können:

Performative Pause: Sie tun sichtlich nichts, lösen das "Recht auf Faulheit" ein und verweigern sich der Erwartungshaltung des Publikums.
Ökonomisches Röntgen: Sie kommentieren trocken und faktisch die ökonomischen Strukturen der Arbeit, die gerade passiert (z.B. Stundenlohn, Plattform-Umsatz).
Regelwerk der Unsichtbarkeit: Sie erklären die Kontrollmechanismen und ungeschriebenen Gesetze der Plattformen (z.B. "Attention Checks", Bot-Verdacht).
Archiv der Absurdität: Sie teilen vorbereitete, nüchterne Anekdoten über absurde Tasks und durchbrechen die Anonymität, ohne sich zu individualisieren.
Szenische Umkehrung: Sie befragen das Publikum zu dessen eigener Nutzung von KI-Tools und drehen die voyeuristische Situation um.

Wie diese Module eingesetzt, kombiniert oder auch weggelassen werden, ist die Entscheidung der Performer*innen an jedem Abend neu. Das Publikum schaut zu. 45 Minuten. Das ist lang. Das wird langweilig. Das wird unangenehm. Das ist der Punkt.

Wichtig: Die Arbeit ist real. Die Clickworker*innen/Freiwilligen verdienen tatsächlich Geld auf den Plattformen (minimal, aber echt). Die Tasks sind echt. Die Zeit ist echt.

D. Das Ende (Minute 60)

Die Zeit ist um. Auszahlung: Die Freiwilligen bekommen den realen Lohn ausgezahlt. Bar. Auf die Hand. 1,35 € (oder was auch immer in 45 Minuten erwirtschaftet wurde). Nicht symbolisch – das Geld ist echt.

"Danke. Das war nett. Aber ich muss jetzt nach Hause gehen und noch 4 Stunden weiterarbeiten, um auf mein Tagesziel zu kommen."

Kein Applaus, keine Moral, keine Auflösung. Nur: Eine Projektion (oder mündliche Ansage): "Arbeitszeit: 45 Minuten. Verdienst: 1,35 €. Danke für Ihre Mitarbeit." Stilles Ende.

III.

DRAMATURGISCHE PRINZIPIEN

1. Anti-Repräsentation

Das Stück bildet nicht ab, es ist. Die Arbeit ist real, die Zeit ist real, das Geld ist real, keine Metapher.

2. Co-Autorenschaft & Anti-Paternalismus

Die Clickworker*innen sind nicht "Ausstellungsstücke" oder "Opfer", denen wir eine Stimme geben. Sie sind Expert*innen ihrer Arbeit. Ihre Co-Autorenschaft liegt in der Entscheidung, wie sie die 45-minütige Arbeitspause gestalten (siehe II.C). Sie sprechen direkt (wenn sie wollen), analytisch und vorbereitet – nicht als Lebensbeichte, sondern als Analyse.

3. Anti-Katharsis

Kein erlösendes Ende. Keine Lösung. Theater kann diese Strukturen nicht ändern. Das Stück lügt nicht über seine eigene Macht.

4. Materialität

Alles, was passiert, muss materiell nachvollziehbar sein: Die Arbeit (sichtbar auf Projektion), die Zeit (läuft in Echtzeit), das Geld (wird bar ausgezahlt), die Pause (ist echte Erholung oder aktive Analyse).

5. Ungewissheit

Das Stück ist jedes Mal anders. Es hängt davon ab, wer sich meldet, wie viele, wie sie arbeiten und welche dramaturgischen Module die Clickworker*innen wählen. Das ist Live-Kunst, nicht reproduzierbares Theater.

IV.

THEORETISCHER RAHMEN (Kurz)

Silvia Federici: Clickwork als digitale Fortsetzung unbezahlter/unterbezahlter reproduktiver Arbeit.
Antonio Casilli: "Es gibt keine künstliche Intelligenz, nur das Clickwork anderer Menschen."
Trebor Scholz: "Crowd Fleecing" – Massenausbeutung durch Plattformkapitalismus.
Paul Lafargue: Das "Recht auf Faulheit" als Kontrapunkt. Die Pause der Clickworker*innen ist das einzige "Recht auf Faulheit", das das Stück anbieten kann.
V.

PRAKTISCHE UMSETZUNG

A. Team

5 Clickworker*innen aus Wien/Österreich: Sie sind die zentralen Performer*innen und Co-Autor*innen. Die Rekrutierung erfolgt über spezialisierte Foren, Communities und lokale Gig-Worker-Netzwerke.
1 Co-Regie/Dramaturgie: Niklas Knüpling ist freier Dramaturg und fester Assistent am Landestheater Niederösterreich. Organisator des Literaturfestivals 12pt in Wien; studiert Vergleichende Literaturwissenschaften an der Universität Wien.
1 Co-Regie/Moderation: Nicolas Cymara studiert Theater-, Film- und Medienwissenschaften an der Universität Wien. Mitarbeiter am Institut, arbeitet zu Austrofaschismus und Nationalsozialismus an der Uni; Klassenanalyse, kultursoziologischer Blick; bevorzugtes Medium: Interview und direktes Gespräch.

B. Bezahlung

Der politische Grundsatz lautet: Wir zahlen fair, weil wir es können – im Gegensatz zu den Plattformen. Die Clickworker*innen erhalten ein reguläres Theaterhonorar sowohl für die Probenphase als auch für die Vorstellungen, das sich an fairen Standards orientiert und unabhängig vom erwirtschafteten Click-Lohn ist. Das Produktionsbudget muss dies realistisch abbilden.

C. Probenphase

Die Proben dienen nicht dem "Einüben" von Text, sondern der Entwicklung des gemeinsamen Repertoires.

Phase 1: Vertrauen & Recherche: Kennenlernen, Interviews. Was wollen die Clickworker*innen zeigen? Welche Tasks? Welche Grenzen?
Phase 2: Entwicklung: Gemeinsame Entwicklung der "dramaturgischen Module" (siehe II.C). Texte schreiben, Fakten recherchieren, Anekdoten sammeln und dramaturgisch aufbereiten.
Phase 3: Simulation: Technische Umsetzung (Projektion, Logins) und Probedurchläufe mit Testpublikum, um alle Szenarien (niemand meldet sich, zu viele melden sich) durchzuspielen.

D. Bühne (Bar&Co, 3,5 × 5 m)

Minimal: 5 Tische, 5 Stühle, 5 Laptops, stabile Internetverbindung, 1 Projektion. Neutrales, arbeitsmäßiges Licht. Keine Dekoration. Nur: Arbeitsplätze.

VI.

RISIKEN UND GEGENMASSNAHMEN

Risiko 1: Ausbeutung 2.0 (Das Spektakel): Gegenmaßnahme: Faire Bezahlung, echtes Veto-Recht und die aktive Rolle als Co-Autor*innen/Expert*innen (statt passive Opfer).
Risiko 2: Sentimentalisierung (Mitleid): Gegenmaßnahme: Fokus auf Fakten, Strukturen und Analyse (die Module), nicht auf individuelles Leid. Anti-kathartisches Ende.
Risiko 3: Niemand meldet sich: Antwort: Das ist kein Scheitern, sondern ein mögliches Ergebnis. Das Stück funktioniert. Die Clickworker*innen arbeiten weiter und kommentieren eventuell ihre eigene Arbeit (z.B. mit Modul 2).
Risiko 4: Zu viele melden sich: Lösung: Die Clickworker*innen entscheiden, wer sie ablöst.
Risiko 5: Traumatische Inhalte (Content-Moderation): Gegenmaßnahme: Bei fraglichen Aufgaben nicht die Inhalte selbst zeigen (nur das Interface/Kategorien), ggf. Fokus auf "harmlose" Tasks.
VII.

OFFENE FRAGEN

Sprache: Mehrsprachigkeit ist Teil der Realität. Einsatz von Untertiteln bei Bedarf.
Rechte/Genehmigungen: Rechtliche Klärung bzgl. Nennung der Plattformnamen.
Wiederholbarkeit: Belastung für die Clickworker*innen über 10 Vorstellungen. Rotation nötig?
VIII.

WARUM DIESES STÜCK JETZT

Die EU-Chatkontrolle-Verordnung ist umstritten. Der KI-Boom basiert auf versteckter menschlicher Arbeit. Berichte über PTSD bei Content-Moderator*innen häufen sich. Plattformarbeit wächst. Das Thema ist nicht abstrakt. Es ist jetzt. Jede*r im Publikum nutzt Dienste, die auf Clickwork basieren.

IX.

WAS DAS STÜCK NICHT TUT

Lösungen anbieten.
Moral predigen.
Falsche Hoffnungen machen ("Theater kann die Welt verändern!").
Ästhetisierung von Armut.
X.

WAS DAS STÜCK TUT

Es schafft eine Situation, in der:

Arbeit sichtbar wird, die sonst versteckt ist.
Das Publikum eine reale Entscheidung treffen muss (Ablösung ja/nein).
Die Distanz zwischen "denen" und "uns" materiell aufgehoben wird.
Die Konsequenzlosigkeit symbolischer Gesten benannt wird (45 Minuten Pause ändern nichts am System).
Theater seine eigenen Grenzen zeigt.

🎪 KONTAKT & NÄCHSTE SCHRITTE 🎪

Nach einer Zusage wären die nächsten Schritte:

Rekrutierung der Clickworker*innen und Beginn der gemeinsamen Recherche.
Finale Budgetierung basierend auf fairen Honoraren.
Rechtliche Klärung (Plattformnennung, Arbeitsverhältnisse).
Detailplanung der Probenphase.

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